Der Ausflug oder eine wahre Geschichte


Wir schreiben das Jahr 1918.

Der Winter verdrängte sehr zeitig mit seinen frostigen Temperaturen

und Schneegestöber den Herbst. Vor allem die Kinder freuten sich darüber.

So auch die Kinder eines Waisenhauses, das abseits der Stadt in Nähe eines Waldes stand.

Dort standen die Kinder an den etwas trüben Fensterscheiben und drücken sich an ihnen die Nasen platt.

Das war ein Drängeln, denn jedes wollte den Flockenwirbel sehen.

„Lass mich auch mal ran!“, bat die kleine Hermine und zog Trixi an ihrem überall gestopften Pullover nach hinten.

„Ja, los, geh nach vorn, Du bist ja auch gar so klein!“, foppte Trixi gutmütig und schob Hermine nach vorn.

Ja, die Kinder in diesem schäbigen Waisenhaus vertrugen sich sehr gut, denn ihre Mama Syt,

wie sie ihre Heimleiterin liebevoll nannten, achtete sehr darauf, dass unter ihren Schützlingen

Freundschaft und Harmonie herrschten. Das war nicht immer einfach, aber mit ihrer liebevollen

Zuwendung schaffte Mama Syt das meistens.

Im Hintergrund des Saales brannte ein lustiges Feuer in einem riesigen Kamin. Mama Syt war sehr froh darüber,

denn erst vor zwei Wochen wurde dieser von einem gutmütigen Steinhauer namens Clemens wieder instand gesetzt.

Clemens war schon sehr alt und der weite Weg von der Stadt bis ins Waisenhaus war für ihn sehr mühsam.

Aber er liebte die Kinder und besuchte sie so oft es ihm möglich war. Auch die Kinder mochten ihren Clemens,

denn er wusste so viel aus seinem Leben zu erzählen.

Diesem Mann also hatten die Kinder die wohlige Wärme in ihrem Waisenhaus zu verdanken.

Das Holz sammelten die kleinen Waisen selbst im Sommer, sie durften heruntergefallene Äste

und morsche Bäumchen aus dem Wald holen und mit Handwagen in ihr Heim bringen.

So gab es in diesem Waisenhaus zwar nichts im Überfluss, im Gegenteil. Es fehlte an fast allem.

Aber dennoch waren die Kinder sehr glücklich und hatten zumindest etwas zum Anziehen und gerade genug zum Essen.

Der Abend senkte sich mit dunklen Schatten über den Wald und erreichte auch bald das Waisenhaus. Die

Kinder hatten gerade ihr kärgliches Mahl zum Abend zu sich genommen. Wie jeden Abend wuschen sich die Kinder

und durften sich dann mit ihren Nachtkleidern im Saal versammeln und sich rund um den Kamin auf kleine Kissen

setzen. Als alle beisammen waren wurde es mucksmäuschenstill. Das war das Zeichen für Mama Syt.

Sie öffnete ihre quietschende Bürotür, ging zum Kamin und setzte sich inmitten der Kinder nieder.

Ein kleines niedliches Kind mit dem Kosenamen Bärchen wisperte leise:

„Wann geht’s denn endlich los?“

„Pssst“, zischelte Jutta ihr zu: „Sei leise, dann wird’s schon los gehen!“

Ja, es war eines dieser wunderschönen Rituale, mit denen Mama Syt „ihre“ Kinderchen verwöhnte.

Diese allabendlichen Märchen und Geschichten wurden den Kindern zur lieben Gewohnheit. Deshalb freuten

sie sich schon am Morgen auf den kommenden Abend.

Und heute erzählte Mama Syt das Märchen von der Schneekönigin. Ja, das war das Lieblingsmärchen der

meisten Kinder, aber ihre Mami Syt konnte es so lebendig erzählen, dass es niemandem etwas ausmachte,

das Märchen schon einmal gehört zu haben. Still saßen die kleinen Waisen um den Kamin und lauschten

Mama Syts angenehmer Stimme. In ihren Augen spiegelte sich der Glanz des Feuers wider. Die Kinder vergaßen

ihr Schicksal und tauchten in eine fremde Welt ein, in der stets das Gute am Ende siegte...




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