Seit diesem stürmischen Abend machten es sich die Mädchen zur lieben Gewohnheit,
jeden Abend ihre Matratzen zusammen zu schieben, um gemeinsam in „einem“ großen Bett zu schlafen.
Und ihre geliebte Mami Syt ließ sie gewähren, schaffte es doch eine freundliche und traute Atmosphäre.
So gingen die Tage vorüber und die Heimleiterin wurde immer betrübter. Auch dieses Jahr hatte sie
noch längst nicht für jedes „ihrer“ Kinder ein Weihnachtsgeschenk. Dafür war einfach kein Geld da.
Es gab in der Stadt eine ältere Frau, die die Mädchen im Waisenhaus gern hatte. Sie nähte das ganze Jahr
über Puppen aus zerrissener Kleidung, die nicht mehr gestopft werden konnte. Diese Puppen wurden dann von
Mama Syt gesammelt und bis Weihnachten heimlich aufbewahrt. Erst gestern kam Tante Natee, wie die Kinder
die Frau liebevoll nannten. Stets hatte sie Kleinigkeiten wie Zuckerstückchen oder einen selbstgebackenen
Kuchen für die Kinder mit. Es war immer wie ein Festtag, wenn Tante Natee ins Waisenhaus kam. Dass diese sich
auch alles vom Munde absparen musste, ahnten die Mädchen nicht. Und dass bei jedem Besuch von Natee eine oder
zwei Puppen heimlich Mama Syt zugeschoben wurden, auch das bekamen die Kinder nicht mit.
Schließlich sollten sie Weihnachten an die Mädchen verteilt werden.
So zog auch in diesem Jahr Mama Syt traurig die Listen der vergangenen Jahre hervor und machte Kreuzchen
hinter die Namen, die in diesem Jahr mit einer Puppe beschenkt werden würde. Ja, die Heimleiterin wusste,
dass die Kinder so taten, als würden sie es verstehen, aber mit ihrem liebenden Herzen konnte sie auch in die
Herzen der Mädchen hineinschauen und ganz tief hinten die Traurigkeit erkennen. Aber Mama Syt konnte es nicht
ändern, Sie tat alles, was sie tun konnte, erniedrigte sich immer wieder vor dem Bürgermeister und den
Honoratioren der Stadt, nur um etwas mehr Geld zu erbetteln. Ja, Mama Syt musste
betteln, sonst würde es den Mädchen im Waisenhaus noch schlechter gehen.
Es war wie jedes Jahr.
Das Geld reichte nicht für ein paar kleine Geschenke, die Puppen waren auch nicht in der benötigten Stückzahl vorhanden.
‚Wie soll das noch weiter gehen?‘ seufzte die Heimleiterin.
Der Abend vor dem Heiligen Abend kam heran. Heute war es schwerer als sonst, die Kinder in
ihre Betten zu bekommen und Ruhe einkehren zu lassen. Es waren eben Kinder, die wie jedes andere Kind
Hoffnung in den Herzen pflegten auf den Heiligen Abend. Jedes de Kinder hoffte innerlich, eine der Puppen
abzubekommen, die es Weihnachten immer gab. Stoffpuppen mit großen Knopfaugen, die auch schon mal
verschiedene Farben aufweisen konnten. Aber das war nicht störend, im Gegenteil. Die Mädchen fanden es lustig.
An diesem Abend gab es noch lange Getuschel in diesem „Riesenbett“. Die Mädchen waren aufgeregt,
sie hatten das Bedürfnis, sich untereinander mitzuteilen. Die Heimleiterin wusste es und ließ es verstehend zu.
Nur ein Kind dachte traurig über alles nach.
Die kleine Reni mit ihren blonden, lustig baumelnden Zöpfen war ein ernstes Mädchen. Irgendwann hatte
sie das Lachen verlernt, es war nur sehr selten auf ihrem hübschen Gesichtchen zu sehen. Sie lag am
Rande der zusammengeschobenen Matratzen und dachte traurig an ihren Onkel, bei dem sie vorher gelebt
hatte und der sie dann in dieses Waisenhaus brachte um in der weiten Welt Vergessen zu suchen.
Sie verstand es bis heute nicht und war ihrem Onkel deshalb ein wenig gram. So vergoss sie auch in
dieser Nacht unbemerkt von all den anderen Mädchen ein paar Tränen der Verzweiflung. Manchmal tat es gut,
ein wenig zu weinen. Doch irgendwann fiel auch Reni in einen leichten unruhigen Schlaf...
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